Darf die Behörde die Vorlage von Kontoauszügen verlangen ?
1. Entscheidung des Hessischen Landessozialgerichts vom 22.08.2005, Az: L 7 AS 32/05 ER:
Eine konkrete gesetzliche Verpflichtung, Kontoauszüge vorzulegen, gibt es nicht.
In § 67a des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) ist lediglich geregelt, dass die Datenerhebung beim Betroffenen zu erfolgen hat. Hierbei ist abzuwägen, inwieweit das Selbstbestimmungsrecht des Antragstellers der Datenerhebung entgegensteht.
Das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung lässt Einschränkungen nur im überwiegenden allgemeinen Interesse zu, die zudem einer verfassungsgemäßen gesetzlichen Grundlage bedürfen und dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entsprechen müssen (vgl. , zitiert in Juris).
Dieses grundgesetzlich geschützte Recht auf informationelle Selbstbestimmung steht insoweit den Mitwirkungsverpflichtungen des § 66 SGB I entgegen.
Zu Recht kann man sich auf das Sozialgeheimnis im Sinne des § 35 SGB I stützen.
Danach dürfen die ihn betreffenden Sozialdaten im Sinne des § 67 Abs. 1 SGB X von den Leistungsträgern nicht unbefugt erhoben werden, vgl. LSG Hessen vom 22.08.2005 – L 7 AS 32/05 ER; Sozialgericht Meiningen vom 11.05.2006 - S 17 AS 747/06 ER -;
Das aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Grundgesetzes, Art. 2 Abs. 1 GG, und der Menschenwürde, Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitete Grundrecht der informationellen Selbst-bestimmung lässt Einschränkungen nur im überwiegenden allgemeinen Interesse zu, die zudem einer verfassungsgemäßen gesetzlichen Grundlage bedürfen und dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entsprechen müssen (Bundesverfassungsgericht – Urteil vom 15. Dezember 1983 BVerfGE 65, 1 ff.).
Der Leistungsträger ist daher nur berechtigt, bei Zweifeln entsprechende Daten zu erheben.
Die Weigerung, die Kontoauszüge der zurückliegenden Monate vorzulegen, ist nach alledem unschädlich, denn diese Urkunden sind weder "leistungserheblich" noch "erforderlich" im Sinne des § 60 Abs. 1 Nr. 1 SGB I.
Etwas anderes folgt auch nicht etwa aus dem Amtsermittlungsgrundsatz gemäß § 20 SGB X, denn die Regelungen des Datenschutzes gehen nach § 37 Satz 3 SGB I vor (dazu vgl. Schoch, in: Münder, a.a.O, § 60 Rdnr. 11.
Anders:
2. LSG Nordrhein-Westphalen L 7 B 235/07 AS ER vom 11.10.2007
Die Kontoauszüge stellen ein Beweismittel im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB I dar, die zur ordnungsgemäßen Erfüllung der Aufgaben der Sozialverwaltung erforderlich sind.
Die Aufforderung an den Arbeitsuchenden, Kontoauszüge für die letzten drei Monate vorzulegen, ist grundsätzlich nicht zu beanstanden (LSG Nordrhein-Westfalen (NRW), Beschluss vom 12.07.2006, L 9 B 48/06 AS ER).
Soweit hiergegen eingewandt wird, zurückliegende Kontobewegungen änderten nichts an der aktuellen Bedarfslage des Arbeitsuchenden (Hessisches LSG, Beschluss vom 22.08.2005, L 7 AS 32/05 ER), greift dieser Gesichtspunkt zu kurz.
Falls der Arbeitsuchende z. B. seine Hilfebedürftigkeit durch Schenkungen im Vorfeld der Antragstellung selbst herbeigeführt hätte, könnten zivilrechtliche Rückforderungsansprüche bestehen (§ 528 BGB: Rückforderung wegen Verarmung des Schenkers), die, sofern rechtlich und tatsächlich durchsetzbar, der Hilfebedürftigkeit entgegenstehen könnten (vgl. VG Sigmaringen, Urteil vom 23.11.2000, 2 K 1886/99).
3. Bayerisches Landessozialgericht L 7 AS 190/07 10.08.2007
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Berufung ist jedoch nicht begründet; denn das SG hat zutreffend entschieden, dass die Beklagte berechtigt war, das Alg II zu versagen.
Nach § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, soweit die Voraussetzungen für die Leistung nicht nachgewiesen sind, wenn derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62, 65 SGB I nicht nachkommt und hierdurch die Aufklärung des Sachverhaltes erheblich erschwert wird.
Um die Versagung der Leistungen zu vermeiden, war der Kläger gehalten, der Beklagten die Kontoauszüge der letzten drei Monate vorzulegen; denn gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 SGB I hat derjenige, der Sozialleistungen beantragt, auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers Beweisurkunden vorzulegen. Bei den Kontoauszügen handelt es sich um derartige Beweisurkunden (so auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12.07.2006 - L 9 B 48/06 AS ER).
Da der Kläger Alg II beantragt hat und diese Leistung gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 3 SGB II nur derjenige erhält, der hilfebedürftig ist, war die Beklagte berechtigt, die Kontoauszüge anzufordern, um die Hilfebedürftigkeit überprüfen zu können.
Zutreffend hat bereits das SG ausgeführt, dass die Vorlage der Kontoauszüge geeignet ist, die Hilfebedürftigkeit festzustellen, weil aus den Kontoauszügen neben dem jeweiligen Kontostand auch die zurückliegenden Kontobewegungen ersichtlich sind. Nur so kann die Beklagte überprüfen, ob der Kläger Zuwendungen Dritter erhalten oder größere Beträge transferiert hat und welche sonstigen leistungserheblichen Transaktionen vorgenommen wurden. Die Vorlage der Kontoauszüge ist auch erforderlich, weil die Beklagte auf andere Weise die Einkommensverhältnisse in der Zeit vor der Antragstellung nicht überprüfen kann. Nur wenn die Kontoauszüge für die Zeit vor dem Beginn des Leistungsbezugs vorliegen, hat der Leistungsträger die Möglichkeit überprüfen zu können, ob die Voraussetzungen des § 31 Abs. 4 Nr. 1 SGB II vorliegen, d.h. ob der Hilfebedürftige sein Einkommen oder Vermögen in der Absicht gemindert hat, die Voraussetzungen für die Gewährung oder Erhöhung des Alg II herbeizuführen. Wollte man den Leistungsträger darauf verweisen, den Angaben der Arbeitsuchenden ohne Nachweise zu vertrauen, wäre ein Leistungsmissbrauch nicht auszuschließen. Um feststellen zu können, ob der Arbeitsuchende Zuwendungen Dritter erhalten oder größere Beträge transferiert hat und welche sonstigen leistungserheblichen Transaktionen bisher vorgenommen wurden, sind Nachweise über die finanziellen Verhältnisse in den letzten Monaten notwendig. Die Verpflichtung zur Vorlage ist auch nicht durch § 65 SGB I ausgeschlossen; denn das Verlangen der Beklagten steht nicht in einem unangemessenen Verhältnis zu der in Anspruch genommenen Sozialleistung. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Vorlage der Kontoauszüge dem Kläger aus einem wichtigen Grund nicht zugemutet werden kann; denn er hat keine Gründe für seine Weigerung geltend gemacht, die einen wichtigen Grund darstellen könnten. Die Beklagte konnte sich auch nicht durch einen geringeren Aufwand die erforderlichen Kenntnisse selbst beschaffen.
Weder das Sozialgeheimnis noch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sprechen gegen die Pflicht zur Vorlage der Kontoauszüge. Da es sich bei den angeforderten Kontoauszügen um leistungserhebliche Tatsachen und Beweismittel im Sinne des § 60 Abs. 1 SGB I handelt, die zur ordnungsgemäßen Erfüllung der Aufgaben der Sozialverwaltung erforderlich sind (§ 67 a SGB X), steht der Schutz der Sozialdaten aus §§ 35 SGB I, 67ff. SGB X dem Verlangen nicht entgegen. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist nicht verletzt; denn dieses Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung wird durch § 60 SGB I eingeschränkt. Grundrechte gelten nicht schrankenlos. Sie sind entweder durch die Grundrechte selbst oder durch einfach gesetzliche Regelungen beschränkt. Garantiert wird nur der Wesensgehalt. Dieser ist hier aber nicht verletzt, da die Daten nur im Rahmen der Bearbeitung des Leistungsantrags erhoben werden, für den sie erheblich sind. Einen Verdacht auf beabsichtigten Leistungsmissbrauch im Einzelfall, wie ihn das Hessische LSG im vom Kläger angeführten Beschluss vom 22.08.2005 (L 7 AS 32/05 ER) als Voraussetzung für das Verlangen der Vorlage für notwendig erachtet, hält der Senat nicht für erforderlich.